Digitale Souveränität von älteren Menschen – Ein Status Quo
Kat. Allgemein, Technologie
Am 7. März fand in Berlin eine ‘Zukunftswerkstatt‘ zum Thema ‘Digitale Souveränität älterer Menschen’ statt. Der Workshop ist ein Mosaikteil zu einer Studie, die das Institut für Innovation und Technik im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchführt. Rund 30 SeniorInnen aus Berlin und Umgebung diskutierten mit ExpertInnen und Wissenschaftern, welche Chancen mit digitalen Technologien entstehen und welche Kompetenzen nötig sind, um diese Chancen zu nutzen.
Was bedeutet digitale Souveränität?
Und welche Möglichkeiten gibt es, die Souveränität von älteren Menschen zu stärken? Der Begriff Digitale Souveränität wurde so definiert: Es gilt, das eigene Leben mit digitalen Technologien selbstbestimmt zu gestalten und die Konsequenzen des digitalisierten Handelns gut einschätzen zu können.
Was bietet der Markt älteren Menschen?
Es hat sich in den letzten Jahren viel getan. Es sind viele digitale Produkte entstanden, die bei älteren Menschen besonders gut ankommen, z.B. Smartphones mit intuitiver Benutzeroberfläche. Dann sind Bildungsangebote entstanden, wie z.B. der Senioren Computer Club. Da werden sicherheitsrelevante Themen und technische Themen diskutiert, wie künstliche Intelligenz. Man erlaubt, partizipativer zu werden, damit ältere Menschen von gesellschaftsrelevanten Aktivitäten, die zunehmend online passieren, nicht ausgeschlossen werden.
Welche Trends gibt es?
Es gibt technologische Trends, wie künstliche Intelligenz, eine Schlüsseltechnologie, die Daten aufbereiten und bestimmte Muster in den Daten erkennen kann. Diese kann in Anwendungen eingesetzt werden, wie z.B. in persönlichen Assistenzsystemen (wie Siri) oder smart home – Applikationen, e-Health. Auch die Aufbereitung von Gesundheitsdaten wird ein ganz besonders wichtiges Thema im Alter.
Es gibt gesellschaftlichpolitische Trends, wie die Forderung nach offenen Datensätzen. Wenn man die nutzen möchte, muss man bereit sein, Daten zu teilen. Das sind open data – Initiativen. Wer die barrierefreie Nutzung von Infrastrukturen einfordert, muss Mobilitätsdaten teilen.
Es wurden auch interessante kulturelle Trends angesprochen, wie man als älterer Mensch z.B. mit Daten Geld verdienen kann. Mittlerweile sind auch Menschen über 65 zu sogenannten Influencer geworden. Wie z.B. auf Instagram versuchen diese, Produkte zu platzieren und diese Beiträge besonders ansprechend für eine ältere Zielgruppe aufzubereiten. Die Anzahl der ‚Follower‘ (jene Menschen, die Nachrichten dieser Influencer abonnieren) geht von Hundertausenden bis zu Millionen von Menschen.
Welche Anliegen haben ältere Menschen? Dazu gehörten Sicherheitsthemen, wie „Was passiert eigentlich mit den Daten, die ich freigebe? Möchte ich das überhaupt? Möchte ich freigeben, was ich ganzen Tag tue?“
Die Motivationsfaktoren
Was sind denn die Motivationsfaktoren für ältere Menschen, um Bildungsangebote nutzen zu wollen?
Familiäre Kommunikation steht an erster Stelle, Alltags-Organisation, Shoppen online, und soziales Miteinander und Freizeitinfos einholen sind älteren Menschen ebenso besonders wichtig.
Auf die Frage: Was sind denn Ihrer Einschätzung nach die Kompetenzen, die in Zukunft verstärkt relevant werden? nannten die meisten älteren Menschen ‚die Teilnahme an Innovationsprodukten‘, also am Entwickeln von neuen Technologien. Es geht auch um generelles Technologieverständnis, z.B. was ist überhaupt künstliche Intelligenz? Digitale Demokratie? Was bedeutet freie Meinungsäusserung im Netz? Wie behandeln wir einander gegenseitig im Netz? Wie sieht die Durchsetzung digitaler Rechte (DSVGO) aus?
Themen, die in klassischen Bildungsangeboten adressiert werden, scheinen weniger wichtig zu sein, als grundlegende Kompetenzen, die Orientierungswissen vermitteln. Diese werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen.
Die Befürchtungen der älteren Menschen
„Die meisten SeniorInnen wissen ja gar nicht, was e-Health oder Telemedizin bedeutet. Wenn ich nicht weiss, was es bedeutet, werde ich es nicht benutzen.“
„Die Experten schmeissen mit Fachwörtern um sich und erwarten, dass die ältere Generation automatisch versteht, worum es geht. Dabei sind ältere Menschen interessiert, aber sie müssen es vielleicht 10x so oft als die Jungen hören.“
„Nicht jeder ältere Mensch spricht oder versteht englisch. Die Internetsprache ist aber gespickt mit englischen Ausdrücken. Wir brauchen Zeit, um das zu lernen.“
Was kritisiert wird
In Berlin war es nicht möglich, eine einzige Bank zu begeistern, eine ‘Online Banking für ältere Menschen’ – Schulung anzubieten. „Alle Banken haben gesagt ‘Da ist kein Bedarf, das brauchen die nicht.’ Traurig. Die Wirtschaft scheint die Zielgruppe 65+ nicht zu verstehen“, beklagt Dagmar Hirche vom Verein ‚Wege aus der Einsamkeit‘ die Einstellung der Wirtschaft.
Not am digitalen Mann besteht vor allem im ländlichen Raum, wo viele Bankfilialen geschlossen werden. Es entstehen vereinzelt Kooperationen mit Banken, die Wissensmultiplikatoren ausbilden und bereit sind, in die Dörfer zu gehen und speziell ältere Menschen zum Thema Online-Banking zu schulen.
„Diese Art der Schulung muss immer wieder passieren, wegen des Tempos. Wir brauchen mehr Zeit als die jungen Leute, wenn wir ein neues Thema lernen. Das muss langsam gemacht werden. Immer wieder üben, um Sicherheit zu erlangen“, wünscht sich Hirche.
Auch dahingehend müssen junge Leute geschult werden, wenn sie eine Ausbildung in diesem Bereich machen. Die meisten, das haben Tests ergeben, haben keine Geduld, älteren Menschen digitale Inhalte immer wieder zu erklären und geduldig auf Fragen zu antworten.
Von wem wünschen sich ältere Menschen Unterstützung?
Sie wünschen sich eine Anlaufstelle. Im Workshop wurde eine fiktionale Behörde für digitale Bildung besprochen, die bei der Erstellung von digitalen Beipackzettel hilft. Der gibt darüber Auskunft, wie man digitale Anwendungen nutzt, warnt aber auch gleichzeitig vor den Implikationen.
Eine große Bitte geht in Richtung Wirtschaft. Man möge doch auf die Vielfältigkeit der Kunden einzugehen. Junge Menschen haben andere Anforderungen als alte. Gerade für diese Zielruppe brauche es eine schrittweise Einführung in Themen, die Digitalisierung basieren. Oft passiert so eine Schulung an einem Nachmittag. „Dann musst Du schon verstehen, wie es geht. Viel zu stressig für mich“, meinte eine 75jährige Teilnehmerin. „Es wäre fein, wenn es kontinuierliche Schulungsangebote gäbe, da würde ich mich sicherer fühlen.“
Auf Digitalschulungen oder andere digitale Konzepte muss auch in analogen Medien aufmerksam machen. Ds sind Medien, die ältere Menschen erreichen.
Es braucht viel Geduld der Familienangehörigen, mit ihren älteren Familienmitliedern digital zu sprechen. Aber auch die eigene Geduld muss thematisiert werden. Oft gibt ein alter Mensch leicht auf, wenn er oder sie Neues nicht gleich versteht. Spass, Motivation, praktische Übungen – all das gehört zum Lernen im Alter.
Dazu gehört z.B. eine Whatsapp Gruppe im Freundeskreis zu bilden, und morgends in der Kleingruppe ‚Guten Morgen‘ und vor dem Schlafengehen ‚Gute Nacht‘ zu sagen. Und wenn ein Mitglied der Gruppe mal kein Smiley geschickt hat, kann man nachfragen: Geht’s Dir gut? Alles ok?
Was stark eingefordert wird, sind zielgerichtete Antworten. Eine Teilnehmerin klagt: „Ich habe eine Frage und da steht mir einer gegenüber, der mir 30 Dinge auf einmal erklärt. Da hab ich schon keine Lust mehr. Wenn ich eine Frage habe, will ich nur eine Antwort.„
Dein Smartphone beleidigt Dich nicht
Die Vortragende schmunzelt, als sie meint: „Hab keine Angst, Dich durch oftmaliges Probieren zu blamieren. Dein Smartphone schlägt Dich nicht. Es beleidigt Dich auch nicht. Da kommt keiner raus, der schimpft: Mein Gott, bist Du blöd.”
Woran ältere Menschen aber arbeiten müssen, meint die rüstige Vortragende, ist deren ablehnende Haltung gegenüber Smartphones und den vielen Apps. Man könne sich schon verlieren in der Suche nach Information oder Apps. Die Informationsfülle stresst ältere Menschen. Sie klagen über die vielen Apps auf ihrer Smartphone Oberfläche: „Warum stehen da so viele Apps? Kann man die nicht wegklicken?“ Darauf antwortet die Senioren-Expertin forsch: „Entschuldigt mal. Das ist wie im Supermarkt. Da gibt’s auch 80 verschiedene Salamisorten im Regal, die verschwinden auch nicht, nur weil ich eine bestimmte haben will.“
Welche digitalen Angebote sind besonders attraktiv für ältere Menschen, um das soziale Miteinander zu stärken?
Die Entstehung digitaler Marktplätze. Immer wieder gehen Mitglieder von Hilfsorganisationen, wie Caritas in Dörfern von Haus zu Haus und fragen: Was möchtet Ihr im Internet ausprobieren? Wo können wir helfen? Wer ist bereit, im Dorf Hilfe anzubieten? Dadurch wurde viel gelernt und die Hilfsorganisationen wissen nun, wie die Situation in den Haushalten aussieht, und wie diese digital abgebildet werden kann.
Vielerorts in Deutschland wurden generationenübergreifende Schulungen gestartet. Digitalinterssierte von 15 bis 75 Jahren drücken in der Volkshochschule alle 2 Wochen für 3 h abends die Schulbank. In den Dorfgemeinschaftshäusern wurden dazu digitale Klassenzimmer eingerichtet. Dort, wo früher eine Tafel hing, hängt jetzt ein Smart TV.
Es gibt Tablets und Notebooks, jeder aus der Dorfgemeinschaft kann vorbeikommen und Fragen stellen. Die Leute, die ausgebildet werden, haben sich bereit erklärt, dafür ehrenamtlich zur Verfügung zu stehen und Fragen zu beantworten. Es werden digitale Fotobücher erstellt, gemeinsam Reisebuchungen und online Banking gemacht.
In Salzgitter bringen jugendliche Strafgefangene älteren Menschen den Umgang mit Tablets bei. Die jungen Strafgefangenen erfahren Wertschätzung und die SeniorInnen lernen zu einer Zeit, in der andere junge Menschen in der Schule sind und keine Zeit haben.
Fazit
Der Wunsch nach digitaler Selbstbestimmung stand in der Zukunftswerkstatt über allem. Den älteren Teilnehmern war extrem wichtig, selbstbestimmt zu entscheiden, wie man mit digitalen Technologien agiert.
Ältere Menschen wünschen sich, dass ihre Umwelt mit Geduld, Empathie und Verständnis auf ihre Unbeholfenheit reagiert.
Der Wille der älteren Menschen ist da, eigeninitiativ zu sein. Sie verlangen Bildungsangebote. Das Selbstorganisieren braucht aber Vernetzungsplattformen. Offline-und Online.
Photos: Daniela Krautsack